01.11.2017
Friends of Gas (DE)
Candelilla (DE)
Limes (AT)
DJ:DJ Nice Boy!
VA: RH-Veranstaltung
Member Abendkassa: 12.00€Abendkassa: 14.00€
Friends of Gas
Eine Schockfront zieht über das Land: Fünf Personen auf engem Raum, tagsüber in einem Van, abends auf festen Elementen, senden heftige elektromagnetische Wellen aus. Körperschall, bis dass die Wände wackeln und jeder Bühnenboden sich in eine Sonnenoberfläche verwandelt! Haben Sie schon einmal von so einem Körperschall gehört? Ja? Verzeihung, das war eine Fangfrage für unsere lieben Infotainment People. Es bringt ja nichts, etwas von oder über Schall zu hören oder zu wissen – man muss es am eigenen Leib erfahren. Erleben, wie das ist, wenn ein Festkörper zu einem vibrierenden Schallbeschleuniger mutiert. Das Beben. Das Flattern. Das Wabbeln. Dabei geht es gar nicht primär um Volumen. Auch ein Posaunenengel muss wissen, was er tut. Und Friends Of Gas wissen, was sie tun!
Das Zentralmassiv: Die pointierten Lyrics und die gewaltige Stimme von Nina Walser! An dieser Stelle kann der Autor dieses Infobriefes nicht umhin, für einen Augenblick und wild gestikulierend vor die Leser zu treten, und auszurufen: Mein lieber Herr Gesangsverein! Diese Stimme ist eine Sensation! Nina Walser klingt und sieht aus wie die Tochter oder Enkelin von Rod Stewart! Nur dass Nina im Gegensatz zu ihrem Alten gehörig was von Postpunk und von Minimalismus versteht. Ihre reduzierte und schneidende Sprache trifft den Nagel einfach auf den Kopf. Wann gab es in der deutschsprachigen Rockmusik je eine ähnlich kehlige Dringlichkeit, eine solch kernige Drastik? Nie!
Konsequenterweise genügt es da auch, ab und zu eine Zeile wie eine Zauberformel zu wiederholen, ein paar prägnante Worte, um den Rest des Stückes wie ein Pirat auf Schiffsplanken, den Blick auf den Horizont gerichtet, das Gewicht mal auf das linke, mal auf das rechte Bein zu verlagern. Denn die Schiffsbesatzung der Friends Of Gas steht der Sängerin performativ in nichts nach:
Veronica Burnuthian pflegt ihre Gitarre dicht unter ihr Kinn und an die Brust geklemmt zu halten, wie Pfeil und Bogen, mit Tönen die Luft zerschneidend. Neben ihr, an der Gitarre, verdreht Thomas Westner beim Spiel die Augen permanent nach oben, in Richtung Mastspitze und Elmsfeuer. Den Bass lauter als beide Gitarren zusammen, scheint Martin Tagar ebenfalls ein Feuer zu unterhalten – den groooßen Dampfkessel. Und Erol Dizdar setzt am Schlagwerk das minimalistische Spiel seines Vorgängers David Ortiz fort, verleiht der Band hin und wieder einen humoristischen Akzent.
Was für ein Gruppenbild! Jedem in der Band wäre zuzutrauen, den Begriff der Synkope nicht nur aus der Musik, sondern auch aus der Medizin zu kennen: Dort beschreibt die Synkope eine plötzlich einsetzende, kurz andauernde Bewusstlosigkeit, die mit einem Verlust der Haltungskontrolle einhergeht. Fantastisch! Von dieser Musik bekommt man Herzklopfen. Diese Band ist Gewalt und Schönheit in Ekstase.
Friends Of Gas wissen also um die Materialität von Klang, eröffnen uns Musik als physisch erfahrbaren Raum, entfachen darin eine sonische Wucht. Allein das ist heutzutage schon radikal. Aber damit nicht genug. Aus jeder Pore der Band sprießt eine körperliche Bedingungslosigkeit, die von manchen als bedrohlich empfunden werden könnte. Eine Verletzbarkeit, die manchen Angst machen dürfte. Eine Risikobereitschaft, die manche gar nicht kennen. Wer diese Band bislang live erlebt hatte, muss sich nun, in Anbetracht der Ankündigung einer Albumveröffentlichung, unwillkürlich fragen: Sollten Friends Of Gas es schaffen, ihre greifbare Musik, die körperliche Erfahrung von Schall, auf einen Tonträger zu bekommen? Ist diese Herausforderung physikalisch überhaupt zu bewältigen ?
Max Rieger, Sänger und Gitarrist von Die Nerven, kam im August 2015 mit einem Rollkoffer voller Mikros nach München, um den Sound der Friends so aufzunehmen, wie es ihrer Form nach gerecht wird: Live, nicht in einem Studio, sondern auf einer Konzertbühne, dem Kafe Kult. Nicht in einer Konzertsituation, sondern indem man sich gemeinsam über mehrere Tage und Nächte den Raum erschloss. Band und Produzent wohnten dort und schliefen dort, in dieser Baracke irgendwo im Nirgendwo. Wo schon Nirvana spielten, als sie kurz vor ihrem Durchbruch standen. Es sollten die heissesten Tage des Jahres sein – Max Rieger arbeitet so, die Band wie in einem Terrarium, in das die Musik hineingeht, hineinkriecht. Der Bass im Zentrum des Raumes, wie ein ewig langer Bandwurm. Irgendwann ist der Raum damit ausgefüllt.
So klingt das Album: Wie ein Raum. So ist ihr Songwriting: Jeden Zentimeter dieses Raumes bearbeitend, dehnen die Musiker den Raum aus, soweit es geht, bis er zu Zerplatzen droht. Die Tür, die zu diesem Raum führt, öffnet sich über ein Zündschloss. Gemastert wurde Fatal schwach in Stuttgart, in den Ralv Milberg Studios.
Hören wir das erste Aufeinandertreffen der Stuttgarter und der Münchner Schule – beim Berliner Schule Label! Danach ist eh alles anders.
Candelilla
CAMPING, das 3. Studioalbum der Gruppe CANDELILLA. Aufgenommen und abgemischt von Hannes Plattmeier und Tobias Levin, der auch produzierte, und geschrieben über 2 Jahre auf dem weiten Weg zwischen München und Hamburg.
Und doch scheint es, als wäre diese Platte immer schon genau so da gewesen. Als hätten diese 10 Songs in all ihrer schillernden und wutentbrannten Schönheit nur darauf gewartet, dass jemand sie abholt, aufschreibt und auf die Record-Taste drückt.
CANDELILLA, immer schon mehr interdisziplinäres Kollektiv als bloße Rockband, erdacht in einem München, das man irgendwo zwischen dem Paris der Situationisten, dem Washington DC eines Ian Svenonius und dem New York City Valerie Solanas verorten kann. Performance, Poesie, Politik, und Liebe als Haltung. Und vor allem diese nicht zu bändigende Wut und unglaubliche tightness, die sie schon seit langem zu einer der intensivsten Live Bands des Landes macht. Ihr letztes Album, aufgenommen in Chicago mit Produzentenlegende Steve Albini, hatte diese Energie schon eindrucksvoll auf Platte gebracht. 4 Jahre später jedoch gehen CANDELILLA noch einen Schritt weiter. CAMPING ist keine Pop-Platte geworden, sie forscht viel eher nach den Möglichkeiten von Pop innerhalb des Kosmos CANDELILLA. Geht an Grenzen, tastet sie ab und observiert sie, ohne diese aber je zu überschreiten. CAMPING zeigt eine Band, die sich ihrer selbst so gewiss ist, dass sie sich neu erfinden kann, ohne auch nur eine Spur des Alten zurücklassen zu müssen.
Eine Gitarre wie ein Schrei, dann ein tröstender Klavierakkord, der eine Kadenz einleitet die über 2 Minuten Erwartungen weckt, aber nicht einlösen wird. So beginnt CAMPING mit dem euphorischen Instrumentalstück „Augen“, ganz als hätten sich Joy Division das Klavier von Talk Talk`s Colour of Spring geborgt. Die Gitarre hat sich in einem Feedback-Loop gefangen, während die Akkorde sich scheinbar endlos weiterbewegen. Das Ziel ist erst erreicht, wenn sich alles in dem ersten Wort der Platte gipfelt: Überprüfen. Man zuckt kurz zusammen. Die Stadt, durch die ich laufe, wird ganz still und ich beginne meine Schritte an die Musik anzugleichen. Wenn Mira Mann manisch 33 Muskeln, 27 Sehen wiederholt, spüre ich jede einzelne davon.
Augen, Hand, Sehnen, Muskeln. Es ist ganz zu Anfang schon alles eingeführt, was sich durch die weitere Platte ziehen wird: Körper werden seziert und immer wieder mit anatomischer Strenge in ihre Einzelteile zerlegt. Erst das Stück „Ruhig draußen“ benennt zum ersten Mal einen Körper in Einheit, ja wartet sogar mit der Bekenntnis auf: ich mag deinen Körper. Nur um gleich zu relativieren: Er hat eine schöne Oberfläche. Der Körper wirkt auch hier wieder eher wie ein Forschungsobjekt, als eines der Begierde, oder wie es in dem Text heisst: Du sendest News die mich interessieren. Ich beobachte dich einen ganzen Tag. Die Körper auf CAMPING atmen, spucken, tasten, kotzen. Aber sie bleiben Bodies without properties. Körper ohne Eigenschaften. Meine Augen leuchten, sie erzählen nichts.
Und dann der Titel: CAMPING. Auf den ersten Blick scheint er irritierend. Was will er bedeuten, wohin will er uns führen? Ich kann den Begriff zunächst nur als Anklage begreifen. Ich denke an Susan Sonntags berühmten Text „notes on camp“, in dem sie das Wort „camping“ abfällig als jene Form der Tätigkeit versteht, die die vorsätzliche Produktion von „camp“ zum Ziel hat. Eine bewusste Einführung einer Haltung, die in Hinblick auf den Inhalt neutral ist und sich dem bloßen Stil hingibt. Oder wie Sontag schreibt: Der Sieg des „Stils“ über den „Inhalt“. Ganz wie einer der ungewöhnlichsten Songs auf diesem Album in seiner kristallinen Schönheit dem besungenen Paar am Pool mehr einen way of life zuschreibt, als Leben an sich zuerkennt: Sie liegen an einem Pool. Die Welt steht still.
Und ist CAMPING nicht auch die deutscheste aller Urlaubsarten? Der Traum vom mobilen Zuhause, der von der idealisierten Vorstellung einer Flucht aus dem Alltag lebt. Und macht CAMPING diese Flucht nicht eigentlich unmöglich, weil der Schritt von zu Hause wegzufahren in Wahrheit nie gewagt, nein, nicht einmal gewollt wird? Eine rein oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Neuen, immer nur einen (Rück)Schritt entfernt vom wohligen Zuhause? Unbedingt unterwegs sein wollen, bloß um sich am Ende: keinen Zentimeter (zu) bewegen.
Aber könnte man den Begriff nicht auch positiv besetzen? Man müsste das Konzept von CAMPING wohl etwas allgemeiner fassen. Denn im Grunde bedeutet es doch auch: überall zu Hause zu sein. Sein Zuhause immer mit sich zu tragen. Das Gegenteil des all inklusive Gefängnisses, das wir Leben nennen. Das unbedingte Beharren darauf, dass Heimat transportabel zu sein hat und an keinen Boden dieser Erde gekoppelt sein kann.
Und so campen CANDELILLA im letzten Song dieses überragenden Albums auch in der Wüste, in einer unkontrollierbaren Landschaft, die nachgibt unter jedem Schritt. Die sich verändert und zusammen zieht, wie ein auf Sand gebautes Zuhause.
Es gibt etwas das unkontrollierbar für mich ist, dahin gehe ich. Etwas das unkontrollierbar für mich ist, ich nenne es Wüste.
Und vielleicht sind am Ende all meine Fragezeichen, die eigentliche Intention dieser außergewöhnlichen Band. Ganz so wie all diese Akkordfolgen sich partout nicht auflösen und all diese Wörter partout in keinem Satz gefangen sein wollen: Eine Irritation, ein Spiel, eine Ahnung: tomorrow i will love a new face of you.
(Andreas Spechtl)
Limes
limes (ˈliːmɛs) macht musik für schmerzge/verwöhnte menschen. limes besteht hauptsächlich aus vier personen, die vorzugsweise mit saiten, bändern, tasten und kesseln hantieren.
limes will chaos in ordnung bringen. limes ist laut. limes entzieht sich ökonomischen zwängen, human enhancement und bunten sonnenbrillen (et al.).
macht musik für andere(s).
so wie tanzmusik aus der waschmaschine.
international version: „music for your make-out room.“